Über’s Vermissen.

Das war’s – vorbei ist der Freiwilligendienst, vorbei mein Indienabenteuer! Chrissindia sitzt wieder in Germany und bemüht sich vergeblich um ihre Studienbewerbungen. Wie konnte das denn jetzt so fix gehen? Hab ich irgendwas verpasst? Ich blinzele kurz und – zack! – bin ich wieder daheim. Umgeben von all den magischen, erinnerungsträchtigen, vermeintlich unerreichbaren, unvergleichlichen Dingen, die ich mein Zuhause nenne. Plötzlich gibt’s wieder Steak und Gurkensalat mit Feta. Plötzlich sitz ich wieder auf meinem alten Klapperdrahtesel und düse auf den unglaublich leeren Staßen durch den Sommertag zum Gottesdienst. Plötzlich geh ich wieder mit kurzen Hosen Joggen und lieg danach nackten Bauches im Garten auf der Wiese. Was ist denn nur passiert? Ich wühle in meinem Kopf und frage mich, ob ich Indien, mein Indien, vielleicht nur geträumt habe. Zu schnell, zu aprubt hat alles geendet. Aufgewacht.

Und dabei hab ich doch das, was ich IMMER wollte, oder? Oder zumindest ein größeres Stück von IMMER. Mir träumt, dass ich schon am ersten Abend, an diesem 9.9.2013 in Indien heulend auf der Bettkante saß und heim wollte. 2 Monate lang träumte ich von diesem Flieger, der mich schnurstracks wieder auf den Hänflingsberg brächte; den Koffer hatte ich noch nicht mal ausgepackt. Ich sehnte mich nach all diesen kleinen und großen Habseligkeiten, nach dem deutschen Essen, nach meiner Familie, nach irgendeiner vertrauten, nicht-indischen Sache, die mir in diesem großen, unerforschten Land ein bisschen Heimat böte.

Aus 7.000 km Entfernung verliebte ich mich noch mal neu in meine Heimat; ja sogar in Dinge, die mir bis dato als völlig furchtbar erschienen waren – zum Beispiel das Leben in Burgstädt. Jeden morgen skypte ich mich meiner Mutter, ließ mir den Garten zeigen, wenn Schnee gefallen war und im Dezember den Weihnachtsbaum. So sehr fehlte mir mein Zuhause, dass ich den tollen Strand in Goa, an dem ich Weihnachten verbrachte, fast übersah. Und dabei ging es mir nie schlecht!

Es handelt sich ganz offensichtlich um ein Phänomen, das zugegebenermaßen des öfteren bei mir zu beobachten ist… Um meine Lieblings-Serie Scrubs zu zitieren: „ Wenn man eins über John Dorian (in diesem Fall Christine Bierbaum) weiß, dann, dass er immer das will, was er nicht haben kann.“ Ein klarer Fall.

Ich sehnte mich nach meinen alten Freunden, meiner gewohnten Umgebung, dem Schnee im Winter und einem Schnitzel. Dabei lernte ich in Indien neue Freunde kennen, sah atemberaubende Berge und tiefblaues Meer, brauchte trotz Winter keine Stiefel, sondern trug meine geliebten Chucks (ein Relikt aus der „Heimat“) und genoss Ushantis sa-gen-haf-tes Rajma (eine Art indisches Chilli con Carne… nun ja, ohne Carne.).

Als undankbares Gör, das ich war, beschränkte ich mich mit meinem Vermissen nicht nur auf Burgstädt, nein. Ich träumte vom Studentenleben. Endlich wieder lernen, Notizen machen, den Büchern mit meinem grellrosa Textmarker zu Leibe rücken. Auf Parties gehen, mit Freunden in den Urlaub fahren. Aber nix da, statt dessen stand ich mit zwei ungeduldigen, zähneputzenden Zehnjährigen im indischen Badezimmer und zählte laut bis 100.

Ganz schön frech! Da hast du doch Indien gar nicht genießen können?! Wärst du doch einfach eher heim gekommen!

Quatsch. Jetzt kommt der schwierige Part: All das Vermissen, Vergleichen und Verrücktwerden gehörte irgendwie immer wie selbstverständlich zu meinem Reifeprozess während des Jahres.

Ich spürte zum ersten mal ehrliche, aufrichtige Dankbarkeit für all die Geschenke, die mir das Leben bis jetzt in Deutschland gemacht hatte. Und dadurch sah ich gleichzeitig meine kleinen und großen Erlebnisse in Indien mit wachsameren, sensibleren, dankbareren Augen. Und davon gibt es so unglaublich viele!

Die vielen Reisen nach Agra, Rishikesh, Goa, Kerala, Hyderabad, Darjeeling, Nepal… Die Sonnenuntergänge, vorbeirasenden Felder und unfassbar vielen Bahnhofsgeschichten, die ich auf Reisen in der offenen Zugtür sitzend beobachtete – Beine baumeln draußen.

Mein hüpfendes Herz, wenn ich den kleinen, im Arm seines Vaters strampelnden Mitreisenden anlächle – und ein breites Lächeln aus strahlenden Augen zurückbekomme.

Der Geruch im Heim nach Surf Excel, Massala und Schulbüchern. Der Geruch auf den Straßen nach Pisse und Paan, nach Frangipani und frischem Chai, nach den Abgasen der Autos, nach Chillies, nach Kuhdung und Momos und 1000 anderen Dingen.

Das Bild meiner Mädchen, wie sie mit Schuluniform und knurrendem Magen in der Küche zum Mittag aufkreuzen. Ushantis zahnloses Grinsen. Das fahrig – fröhliche „Welcome“ des Guard Bhaiyas, wenn ich mit Kathi wieder zu Hause ankomme. Zu Hause.

Kathi. Meine tolle Didi. 100 mal haben wir uns gekloppt. Und eines Tages konnten wir nicht mehr ohne einander. Ich hab dich unglaublich lieb! Gemeinsam 2 Stunden mit dem Shared Car nach Delhi zum Feiern fahren. Uns von 100 Indern angestarrt wissen. 

Beim Schwelgen in diesen Erinnerungen gucke ich vermutlich mindestens genauso bescheuert wie John „JD“ Dorian in Scrubs. Und plötzlich wiederholt sich das Phänomen umgekehrt… Ich esse Muttis Linseneintopf und denke an Ushantis und Sonias selbstgemachten dal. …wisst ihr, jetzt wo ich wieder in Deutschland bin, fange ich an, mein Indien zu vermissen.

Ich setzte mich an den Laptop, schreibe meinen Mädels im facebook und weiß: Ich hab jetzt 2 Orte auf dieser Welt, die ich mein Zuhause nenne.

Unsere süße sweeper-aunty
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Mit Rebecca beim Fastenbrechen zu Ramadan.
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Didi, my hairs are so thin!
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mein Abschiedsgeschenk für Sara, unser kleines Nachbarsmädchen
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Yoga-lessons im Juni
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way home
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mein Zuhause in Greater Noida
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mit dem Uncle von der Apotheke
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die zwei Schlawiner im Sabka Bazaar - die langsamsten Kassierer dieser Welt!
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die Mam vom Beauty Parlor
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Katharina Didi und Christine Babu beim Mangoschlürfen
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Ein Gedanke zu “Über’s Vermissen.

  1. „You will never be completely at home again, because part of your heart will be elsewhere. That is the price you pay for the richness of loving and knowing people in more than one place.“

Gib deinen Senf dazu!